Kytorn Desaster

(Auszug aus Levions Schriften)
Ich, Levion, niederer Priester des Deneir, Zeuge und Schreiber der Ost-Expedition unter Sir Gawain, im Auftrag des Königs zu Kormyr, schreibe dies als Zeugnis, Bericht und Warnung. Meidet, was gemieden werden muss!
Ich schreibe diesen Bericht über das Desaster des Kytorns, zweiter Monat unserer Reise in die fernen Ostgefilde.

Wir hatten auf unserer bisherigen Reise eine Reihe von Städten der nahen Ostreiche bereits besucht, die zum Teil völlig von den Tuigan zerstört worden waren, oder sich deren Herrschaft unterworfen hatten. Auch im Königreich Semphar, unter Kalif Abu Bakr, war die Hauptstadt gefallen, der Kalif nichts mehr weiter als eine Strohfigur, ausgeliefert der Gnade und der Willkür der Besatzer. Eine der stärksten Militärmächte des nahen Ostens war unwiderruflich gefallen.
Unsere Gruppe, ein wild zusammengewürfelter Haufen, war ausgeschickt worden, um Informationen über die Tuigan, ihre wilden Raubzüge, ihre Stärke und Taktik zu sammeln. Ich will unsere Gruppe kurz vorstellen, um den gnädigen Leser dieser Zeilen eine Vorstellung von der gar seltsamen Gefährtenschaft zu geben:

    Sir Gawain, Paladin des Tyr
    Feynor, Elf aus dem sagenhaften Evereska
    Grachgrym, Kämpfer - oder besser Barbar, aus den Nordsteppen
    Barral, Beschwörer aus dem fernen Calimshan
    Mormea, Kämpferin aus den Wäldern des Nordens
    Davud Algossara (El Sayal), Kämpfer aus dem südlichen Calimshan
    und ich, Levion, Heiler und Priester der Schrift und Künste
Ich kannte Mormea und Davud bereits aus einer früheren Begebenheit, und habe sie als, wenn auch manchmal sehr zwielichtige, doch an sich passable Gefährten zu schätzen gelernt. Wir waren also der eine Teil der Gruppe, der andere Teil, Sir Gawain, Grachgrym und Faynor, kannten sich wohl ebenfalls schon lange. Barral, unser Beschwörer mit den seltsamen Ticks, war dagegen noch ein völlig unbeschriebenes Blatt. Er war sowohl uns als auch Sir Gawain fremd.
Zwischen beiden Gruppenteilen gab es von Anfang an leichte Spannungen, was jedoch völlig meinen Erwartungen entsprach, da ich wusste, dass Sir Gawain manche der Einstellungen meiner früheren Gefährten nicht dulden können würde. Schliesslich war er ein Kämpfer und Priester des Gottes der Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und Barmherzigkeit, ein Palladin des heiligen Tyr eben. Deneir sei Dank, dass mein Gott nicht ganz so strenge Massstäbe legt. Diese leichten 'Unebenheiten' wurden jedoch recht rasch zu kleinen Hügeln, als sich herausstellte, dass Sir Gawains Gefährte, Grachgrym, der Nordbarbar, alles andere als überlegt und weise zu handeln pflegte.
Er ritt mit Sturmgebrüll in fremde Dörfer, erschreckte Kinder und Frauen zu Tode, die kurz zuvor unter ähnlichem Gebrüll bereits ihre Männer verloren hatten, schlug Stadtwachen nieder, die eigentlich nur unsere Ausrüstung kontrollieren wollten, und tat auch sonst einiges, um uns in Schwierigkeiten zu bringen. Diese Rohheit, dieser Unverstand brachten mich derart in Rage, dass ich Sir Gawain, der keine Gelegenheit auslies, an meinen Gefährten herumzukommandieren, zur Rede stellte, und verlangte, dass er endlich seinen tollwütigen Gorilla an die Leine nehmen solle, wenn er den Erfolg unseres, seines Auftrages nicht in Gefahr bringen wollte.
Ganz zu meiner Verwunderung wies er mich jedoch zurecht, was mir einfiele, an seinem Führungsstil herumzukritisieren, ich sei sein Bediensteter. Nun, das hat mir bisher nur der Tempelprior gesagt, und auch nur deshalb, weil er in der Gnade meines Gottes höher steht, als ich. Mit Sicherheit bin ich nicht der Bedienstete eines unweisen Tyrkämpfers! Der Disput blieb ohne Ergebnis, mein Appell ungehört. Mein Missmut war jedoch geweckt.
Wir mussten auch schon bald die Hauptstadt Semphars verlassen, da eine Prügelei zwischen Grachgrym und der Palastwache unsere Abreise etwas vorzeitig erzwang. Ich kochte bereits innerlich vor Wut, aber für Sir Gawain war das selbstverständlich - frühere Abreise heisst früheres Ziel. Lediglich unser Beschwörer, Barral, der sich bereits recht gut mit Davud, seinem Landsgenossen verstand, hatte ein Einsehen, und legte eine geistige Fessel um den gewaltätigen Verstand unseres Barbaren. So war es ihm immerhin möglich, die Ausbrüche und Aktionen unseres Kampftieres ein wenig in geeignetere Bahnen zu lenken.
Wir schlossen uns einer Karavane an, die gen Osten zog, um mit den dortigen Grenzlanden Handel zu treiben. Sir Gawain kommandierte an allen, ausser dem Barbaren herum, aber an sich passierte nichts produktives. Dann jedoch, schon gut drei Wochen von unserem Ausgangspunkt entfernt, wurden wir aus dem Hinterhalt von, wie sich bald herausstellte, Zentauren angegriffen, die es offensichtlich auf die Karavanengüter abgesehen hatten. Die Pferdeführer gingen bereits unter dem ersten Pfeilhagel, tödlich verwundet, darnieder, und auch wir bekamen einiges ab. Ich versuchte noch mein bestes für die Sterbenden, aber leider waren die Umstände zu widrig, um nützliches tun zu können.
Unser Barbar war schon bald verschwunden, ich wusste nicht wohin, während Sir Gawain mit dem Pfeil und Bogen schoss. Zu meinem atemberaubenden Entsetzen zeigten sich jedoch recht bald mehr als 15 dieser seltsamen Wesen hinter der Hügelkuppe, und der Karavanenführer schrie uns völlig entgeistert zu, wir sollten unser Leben retten und fliehen. Bei den ersten Anstalten, uns in Sicherheit zu bringen, legte sich der Pfeilhagel, und uns war klar, dass unser Leben, sofern wir uns nicht weiter gegen den Gegner stellten, nicht in Gefahr war. Ich ritt also, so schnell ich konnte mit Davud und dem Führer von dannen. Die Ware in den Wägen war selbst weit weniger Wert, als dass, was wir an Gold bei uns hatten.
Beim Wegreiten schaute ich noch einmal zurück, wo die anderen blieben. Die anderen blieben bei der Karavane, und Sir Gawain, anstatt auf den Gegner zu zielen, schickte sich söben an, mir einen Pfeil nachzuschiessen. War er völlig verrückt geworden? Ich duckte mich, und ritt rasch um die nächste Hügelkuppe, um einem möglichen Pfeil zu entgehen. Nachdem ich mich von dem Schreck erholt hatte, musste ich meinem Zorn einfach Luft machen. Was glaubte er denn, sich völlig von Sinnen gegen eine unbesiegbare übermacht zu stellen, und dem einzigen Priester der Gruppe, der sich anschickte, das einzig sinnvolle zu tun, nämlich seine Heilkräfte für das Schlimmste in Sicherheit zu bringen, vom Pferd zu schiessen?
Der Kampflärm war entbrand, Davud und ich ritten nervös um einige Hügelkuppen, und näherten uns, in einem Bogen, wieder dem Kampfplatz. Warum flohen die anderen nicht endlich? Der Besitzer der Karavane hatte seinen Besitz schon längst im Stich gelassen und sich und sein Pferd in Sicherheit gebracht. Warum heiliger sein als der Hochprior?
Wir spähten über die Hügelkuppen, und sahen den Kampf in vollem Gang, neben Grachgrym lag ein gespaltener Zentauer, und Sir Gawain schickte sich söben an, einen anderen endgültig zu töten. Nichtsdestotrotz war die Gruppe bereits in eher erbärmlichen Zustand, und nur die Magie, die Sir Gawain auf eine mir unbekannte Art entfesselte, druidische Magie, die einem Kämpfer des Tyr normalerweise nicht zur Verfügung steht, konnte das Blatt noch einmal soweit wenden, dass die Gruppe schliesslich doch noch fliehen konnte. Wild verfolgt von völlig aufgebrachten Zentauren, die offensichtlich den Tod ihrer beiden Kameraden nicht so ohne weiteres vergessen wollten.
Wir flohen, und ritten die Nacht hindurch. Ich war verzweifelt. Wie konnte man nur so unverständig sein. Die Zentauren waren eine Herdenrasse, mit enger innerer Bindung, und wenig Sympathie für Menschen. Wir hatten bereits, ohne Zweifel, den gesamten Stamm gegen uns aufgebracht, und das Unheil musste jeden Augenblick über uns hereinbrechen. Wir waren in ihrem Heimatland, ohne eigene Kenntnis über das ein und aus in der Grassteppe, auf uns fremdem Grund. Wir waren verloren!
In der Nacht kam der ehemalige Besitzer der Karavane mit Davud zusammen auf mich zu, und unterbreiteten mir einem unglaublichen Plan: sie wollten Sir Gawain und Grachgrym an die Zentauren ausliefern, um uns zu retten. Ich war entrüstet, und schalt Davud, wie er mir so etwas nur unterbreiten könne. Ich wollte davon nichts mehr hören. Natürlich würde ich morgen früh noch einmal mit unserem Paladin reden, gehörig reden sogar, und ihn auffordern, das Unheil, was er und sein unberechenbarer Gefährte über uns gebracht hatte, mit seinem eigenen Leben wieder ins Lot zu rücken. Er war der Führer unserer Reise, er war der Verantwortliche für unsere Leben, derjenige, der mit seinen Entscheidungen dafür zu sorgen hatte, dass entstandene Gefahren bereinigt, und entstandene Schuld beglichen würde. Er würde, mit meinem Segen, zu den Zentauren gehen, und die Sache bereinigen. Schliesslich waren wir durch seinen Unverstand ja erst in diese bedrohliche Lage gekommen.
Die Unterredung jedoch war eine Enttäuschung. Er drosch ein paar, nur allzu bekannte, Phrasen, und meinte schliesslich, dass wir uns eben gemeinsam der Gefahr stellen müssten, und dann eben auch gemeinsam in der Gefahr sterben würden. Er war völlig von Sinnen. Er war schlichtweg verrückt geworden. Der ewige Wind der Steppe muss seinen Verstand davongeweht haben! Seite an Seite kämpfen - ich bin ein Priester der Kunst und der Schrift. Was glaubte er eigentlich? Ausserdem hatten wir einen Auftrag, für den der König von Kormyr mehr als 10000 Goldstücke ausgegeben hatte - mehr als ich jemals in meinem Leben besitzen werde. Und ich konnte mich dunkel daran entsinnen, dass der Auftrag explizit anders lautete, als sich von den erstbesten Wegelagerern zu Tode prügeln zu lassen. Ich versuchte es mit dem Argument, erntete aber nur ein Schulterzucken, und die Drohung, dass er jetzt von mir genug habe, dass ich an seiner Seite kämpfen würde oder... den Rest der Drohung, die mir bereits die Farbe aus dem Gesicht getrieben hatte, schluckte er dann hinunter. Ich hatte den auf mich gezielten Pfeil noch recht gut in Erinnerung. Ich rief später zu Tyr, und bat ihn, seinem Priester doch endlich Verstand zu senden, aber meine Bitte blieb ungehört. Deneir und Tyr haben sich wohl noch nie so recht verstanden...
Es war sinnlos, und wir waren tot. Ich begann, meine Aufzeichnungen zu sortieren und zu komplettieren. Wenn ich schon starb, dann sollte wenigstens das, was ich bereits erfahren und herausgefunden hatte nicht einfach so verschwinden. Der Wind blies, die Reise schleppte sich fort, wir waren übermüdet, und ausserdem noch unter Beobachtung. Hin und wieder zeigte sich ein Zentauer, irgendwo auf einem entfernten Hügel, der uns ruhig beobachtete. Sie machten sich gar keine Mühe, unbemerkt zu bleiben. Im Gegenteil, sie zeigten uns vielmehr, dass es ihnen keinerlei Mühe bereitete, uns im Auge zu behalten. Wir waren tot. Ich wechselte den Fokus meiner heiligen Gesänge, und tauchte völlig ein in den Zyklus der Heilung. Es war das einzige, was ich in der Situation als Vorbereitung tun konnte. Und trotzdem würde es nicht viel helfen. Leider hatte ich noch nicht die Macht, des Paladins gestörten Verstand zu richten.
Der Tag verging, und es wurde Nacht. Ich setzte mich auf einen Hügel, etwas abseits vom Lager und schrieb. Mormea und Davud besuchten mich, und versuchten mich zu überreden, mit ihnen zu fliehen. Ich konnte nicht. Jetzt zu fliehen hätte bedeutet, die anderen der Gruppe dem sicheren Tod preiszugeben. Mein Gott, der dem Leben immer sehr verbunden ist, wäre sicher nicht glücklich über diese Entscheidung gewesen. Und seinen Gott, kurz vor dem Tod, zu ärgern, war schon immer eine sehr schlechte Idee. Andererseits sah ich aber auch keinen Anlass, das Vorhaben der beiden irgendwie zu 'melden'. Würden sie bei uns bleiben, wären sie ziemlich sicher tot, würde ich sie melden, wären sie auch ziemlich sicher tot, würden sie fliehen, hatten sie wenigstens eine Chance durchzukommen. Mein Gott ist ein Gott der Lebenden, ein Gott der Künste und der Schrift, also fiel mir die Entscheidung leicht, ich schwieg.
Kaum waren die beiden mit einigen Pferden verschwunden, hatte ich auch prompt eine Unterredung mit Sir Gawain. Er war sehr ungehalten, aber mir war das irgendwo bereits egal, wir waren ja sowieso schon tot. Ausserdem war er feige. Eine Erkenntnis, die mich traf, wie eine Ohrfeige! Er hatte sich mit einem Gegner eingelassen, der gefährlich für ihn war, und um sein eigenes Leben zu retten, bedrohte er das Leben aller anderer, um sie zum Schluss doch an seiner Seite zu haben, als Schutzwall gegen die anderen. Wie widerwärtig! Worauf hatte ich mich da nur eingelassen. Ich begann an diesem Gott Tyr, und den seltsamen Vögeln, die er auf die Menschheit loslies, ernsthaft zu zweifeln.
Kaum waren Davud und Mormea verschwunden, ereilte uns auch bereits der erste Angriff. Sir Gawain trieb ein paar der Pferde aus unserem Lager, bevor der Gegner angriff. Der Angriff war kurz, und zielte nicht auf uns, sondern auf unsere Pferde. Als es wieder Tag wurde, hatten wir noch genau ein Packpferd, und ausserdem zwei Reitpferde zu wenig. Dummerweise hatte Sir Gawain nämlich die Pferde, die im sicheren Innern des Lagers standen davongejagt, die gefährdeten Pferde am Rand des Lagers waren als Reittiere vorgesehen. Natürlich vielen die meisten davon dem Angriff zum Opfer.
Meines hatte er natürlich auch in der Nacht davongejagt. Ich musste also einen Gutteil meiner Ausrüstung zurücklassen, um zu Fuss den anderen nachzueilen. Ich war nun ohne Rüstung oder sonstigen Schutz, zu Fuss, und in eine einfache Robe gekleidet. Ich war tot!
Wir kamen auch nur einen kurzen Weg am nächsten Vormittag, bevor das Verhängnis schliesslich seinen Lauf nahm. Wir wurden langsam eingekreist, und die Schlinge zog sich immer dichter. Ich beschloss, dass es keinen Sinn mehr machen würde weiterzugehen, und setzte mich ins hohe Gras. Einige meiner Aufschriebe harrten noch eines letzten Kapitels. Die anderen postierten sich ebenfalls auf den umliegenden Hügeln. Unser Barbar natürlich stolz, mit dem Schwert in der Hand mitten auf der Spitze des höchsten Hügels der Gegend. Es flogen Pfeile, und Faynor, unser Elf, ging als erster, schwer getroffen, zu Boden. Sir Gawain, der neben ihm stand, legte ihm seine Hand auf, und brachte ihn wieder in Form. Ich wusste, dass er damit für heute seine heilenden Kräfte verbraucht hatte, und das bereits nach der ersten Minute des Angriffs. Es sah schlecht aus.
Durch den massiven Pfeilhagel ernüchtert beqümten sich unsere mutigen Kämpfer, endlich im hohen Gras Tarnung zu suchen. Die Zentauren formierten sich zu einer Linie, um das Gras zu durchkämmen. Sie waren entschlossen, uns zu finden. Als sie schon nahe herangekommen waren, schoss unser Barbar aus dem Gras, und schlug einen mit blossen Fäusten nieder. Die anderen stürmten sofort auf ihn ein, aber er brachte sich unter dem Körper des Niedergeschlagenen in Sicherheit. Sir Gawain sprang ebenfalls auf, wob wieder diese druidische Magie, deren Ursprung ich nie finden konnte, und die Gegner stürmten nun auch auf ihn los. Ich sah schwarz für beide.
Da hörte ich, wie der Elf irgend etwas sprach, eine Inkantation. Er sass geduckt im Gras, und las eine Schriftrolle. Sie war kompliziert, und von einer Art, wie ich sie noch nie gehört hatte. Da fiel es mir ein, dass die beiden, Sir Gawain und er, schon einmal in Mythdranor gewesen waren, der zerfallenen Elfenstadt, in der nun namlose Schrecken lauern. Es musste eine Schriftrolle von dort sein, ich kenne viele Magierzauber, aber diesen hatte ich noch nie gehört. Ich hielt den Atem an, die Magie von Mythdranor ist alt, heute unverstanden und oftmals von weitreichenderer Wirkung, als der Zaubernde vermutet. Noch dazu ein Elf, der mit Magie nicht vielmehr Erfahrung hatte als ich, und dieser Elf entfesselte nun eine Magie, die weit weit über seinem Vermögen stand, und die mehr als nur seinen Verstand verbrennen konnte, sollte er einen Fehler begehen.
Während noch die Pfeile flogen, und die Zentauren auf Grachgrym und Gawain zuritten, raste die Magie heran, zerschlug die Luft und erschütterte den Boden, eine blauglühende Kugel hüllte die Zentauren, die sich um Grachgrym geschaart hatten, und Grachgrym selbst ein. Danach verblasste sie, und war fort. Doch hatte sie etwas zurückgelassen, eine unsichtbare Barriere, die die Zentauren um Grachgrym gefangenhielt. Die anderen verhielten kurz, um sich über die neue Situation klarzuwerden, während Sir Gawain wieder zum Angriff überging. Er schien desgleichen schon öfters erlebt zu haben. Die Zentauren in der Kugel waren beengt, und konnten nicht kämpfen, ein Umstand, dem Grachgrym wahrscheinlich sein Leben verdankt, denn er lag immer noch unter dem Körper des Zentauren, dessen Leben er nun mit einem Schwert, welches er an seinen Hals gelegt hatte, bedrohte.
Draussen ging die Schlacht weiter, aber es sah eher schlecht für uns aus, Sir Gawain hatte bereits viel eingesteckt, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis es vorüber war. Irgend etwas musste geschehen. Ich rief nach Deneir, und bat um Worte, die Verständigung bringen könnten. Und Deneir hörte meinen Ruf, ihre Worte entwirrten sich und bekamen Sinn, und ich wusste, wie ich zu sprechen hatte, um mich ihnen verständlich zu machen. Ich verliess meine Deckung, und sprach sie an. Ich bat sie einzuhalten, dass wir ihnen nichts böses wollten (eine Lüge, an der ich mich fast verschluckte, nun, zumindest wollte ich ihnen nix tun), und fragte, warum sie uns angriffen. Anstatt zu Reden kamen sie zuerst auf mich zugeritten, ergriffen mich, und legten mir eine Klinge an den Hals, dann erst begannen sie zu verhandeln.
Die Forderungen waren klar, sie wollten das Leben desjenigen, der einen ihrer Kameraden hinterrücks angegriffen hatte. Ich diskutierte ein wenig, aber die Situation, die Angst (wie ich ununwunden zugeben muss) und die Klinge an meinem Hals, wollte einfach keine rechte Inspiration aufkommen lassen. Ich war ein eher lausiger Verhandlungspartner, und nicht in der Lage irgendwelche Vorteile für uns herauszuschlagen. Sir Gawain, und der Elf hatten inzwischen wieder anstalten gemacht, den Kampf fortzusetzen. Sofort drückte sich die Klinge schmerzhaft in meinen Hals. Ich verstand die Welt nicht mehr, waren die beiden jetzt tollkühn, oder tatsächlich nur verrückt? Ich rief Sir Gawain zu, er solle einhalten, noch seien die Verhandlungen nicht beendet. Er schien jedoch eher ungeduldig, nutzte die Pause aber, um einen Heiltrank zu trinken.
Schliesslich gelang es mir doch, ein Tauschgeschäft in die Wege zu leiten. Der Zentauer, der mit mir redete, forderte alles, was wir an Metall bei uns hatten als Blutzoll für seine gefallenen Kameraden. Ich war unendlich erleichtert, es war uns nun tatsächlich möglich, unsere Leben gegen ein wenig lebloses Metall (zugegeben wertvolles) einzutauschen. Was wollten wir mehr? Sie gestanden uns sogar Reitpferde und Proviant zu, um Lebend die nächste Siedlung erreichen zu können. Ich übersetzte die Forderung freudig, wir hatten eine Lösung gefunden! Sir Gawain schien eher enttäuscht, und fragte mehr als mürrsich, was passieren würde, wenn er nicht darauf einginge. Nun, die Antwort war deutlich, mein Leben hing sowieso nur noch an ein paar Zentimetern, und das Leben all der anderen wäre vielleicht nicht so schnell vorüber, nichtsdestotrotz keinen Pfifferling mehr wert.
Ich liess meiner übersetzung nicht an entsprechender Schärfe fehlen, aber ich wusste, dass Sir Gawain, als Kämpfer und Priester des heiligen Tyr niemals ein paar Kilo Gold gegen ein Leben, geschweige denn mehrere, eintauschen würde. Die Barmherzigkeit, eine seiner obersten Ordensregeln würde dies verbieten. Es muss der Wahnsinn der Steppe gewesen sein, vielleicht eine seltene Krankheit, oder ein böser Fluch der diese boshafte Grimasse in sein Gesicht trieb, als er knurrte "meine Rüstung und mein Schwert gebe ich niemals her." Ich brauchte, und konnte auch nicht mehr übersetzen, denn als die beiden ihre Bögen hochrissen, wurde mein Hals mit einem raschen Schnitt zerschnitten, und mich trafen mehrere Stiche in Rücken und Brust. Es war wohl nur die Gnade Deneirs, gepaart mit meiner Fettleibigkeit, die bewirkte, dass der Schnitt am Hals nicht sofort mein Leben kostete. Trotzdem war ich fast sofort aller meiner Kraft beraubt, was blieb, war ein kümmerlicher Rest. Dann traf auch schon der erste Pfeil Sir Gawains sein Ziel: meinen Bauch. Er hatte sich wohl entschlossen mein Leiden zu verkürzen, und begann auf mich zu schiessen. Es mag sein, dass er meine Peiniger treffen wollte, aber da sie mich als Schutz benutzten, würde ich die nächsten Pfeile abbekommen.
Mit dem letzten Rest an Kraft versuchte ich mich loszureissen. Natürlich ergebnislos, ich blutete, und war dem endgültigen Ende nahe. Da traf wieder eine magische Formel mein Ohr - unser calishitischer Beschwörer, der sich bisher in meiner Nähe verborgen gehalten hatte, wirkte seine Kunst. Der Boden unter meinen Füssen wurde flüssig und glitschig, und es war nicht mehr einfach, sich auf den Beinen zu halten. Meine Peiniger rutschten mit ihren pferdeartigen Beinen sofort aus, und fielen, während ich mich, ohne noch irgend einen Gedanken zu fassen, von Instinkten getrieben zur Flucht wandte.
Ich rannte und rannte, ich weiss nicht wie lange, ungeschickt und langsam, meine Peiniger waren sofort wieder bei mir, aber einer wurde von einem gut gezielten Pfeil niedergestreckt, der andere tänzelte um mich herum, und hatte offensichtlich seinen Spass, mich immer wieder ins Pfeilfeuer zurückzubringen. Schliesslich liess er von mir ab, ich wankte in die Steppe hinaus, und ging irgendwann zu Boden. Nach einiger Zeit, als die Schmerzen mich wieder ins dasein zurückriefen, flehte ich zu Deneir, griff nach der lindernden Heilung und fühlte, wie ein wenig Kraft zurückfloss. Ich rappelte mich wieder auf, ich durfte nicht mehr der kostbaren Gnade auf mich verwenden, da ich meinem calishitischen Weggefährten noch um jeden Preis beistehen musste, er hatte seine Deckung für mich geopfert.
Doch noch ehe ich mich recht orientieren konnte, kam jener auch schon bereits mit zwei Pferden auf mich zugeritten. "Schnell, zurück, es sieht nicht gut aus!" war alles, was er mir zurief, dann wendete er, und stob zurück. Es war wohl nur die Sympathie für ihn, und den Elf, der mich zurücktrieb. Ich hatte immer noch kaum Kraft zu Reiten. Als ich mich dem Kampfplatz näherte, sah ich, wie der Elf bereits wieder mit einer der Schriftrollen hantierte, sah, wie sich ein Glühen aufbaute, wie ein vielfarbiges Feuer über seinen Körper raste, die Schriftrolle verzehrte, und als vielfarbiger Regenbogen in den Himmel stieg. Faynor hielt sich wie im Schmerz kurz die Stirn, und schüttelte dann den Kopf. Er hatte die Magie nicht meistern können. Ausserhalb der Kugel waren alle Gegner niedergeschlagen, doch innerhalb des seltsamen Gebildes aus alter Magie hatte sich ein bizarrer status quo entwickelt: Grachgrym am Boden, das Messer an der Kehle des anderen, und die anderen mit gezückten Waffen um ihn herum.
Ich ritt rasch, oder so rasch ich eben konnte, heran, und bot meine heilenden Dienste an. Ich erntete aber nur ein unwirsches Gebrummel, und ein gemurmeltes "Heiltränke". Währenddessen zog Sir Gawain einige der erschlagenen Gegner auf einen Haufen. Mir schien es befremdlich, dass er sich mit der Verbrennung der Toten befassen wollte, wo doch das grösste Problem immer noch im Innern der Kugel lag oder stand. Er nickte dem Elf zu, der erneut begann eine Schriftrolle abzulesen. Er las immer noch, als das seltsame Gebilde, welches die Zentauren gefangenhielt, wieder aufzulösen begann. Ich wendete mein Pferd zum gehen, da ich hier offensichtlich nichts mehr tun konnte. In diesem Augenblick erkannte ich die Magie, die der Elf zu entfesseln begann: Es war wie ein Schmerz, eine Kälte, die das Innerste meiner Knochen erfasste, es war die unheilige Magie der Nekromantie. Ich blickte entsetzt zurück, sah, wie sich Sir Gawain wieder den sich formierenden Gegnern entgegenstellte, ohne sich auch nur im geringsten um den Frevel, der sich, mit seiner Billigung, direkt neben ihm abspielte, zu kümmern. Und die Magie ergriff ihre Opfer, das alles verzehrende kalte Feuer brach aus den geöffneten Dämmen des Totenreiches hervor, und fuhr in die Leiber der getöteten Gegner, zwang ihre Seelen in ein seelenloses, falsches Leben zurück. Sie fuhr in den Boden, und forschte, ob sie noch mehr an ruhendem Frieden brechen könne, und sie stieg in die Luft, verdarf das Blau des Himmels und füllte meine Lungen mit dem Gestank der unheiligen Pestilenz.
Ich war zu schwach, um mich gegen die widerwärtige Flut zu stemmen, Deneirs heiligen Willen herabzurufen um die Totenreiche wieder zu schliessen. Ich floh, entsetzt, enttäuscht und verwirrt. Wie konnte so etwas geschehen, wie konnte Gawain, ihn Sir zu nennen wagte ich nicht mehr, so etwas zulassen? Ich ritt hinaus in die Hügel, dieses unheilige Geschehen liess ich hinter mir zurück. Ich hatte keinen Platz mehr an Gawains Seite.
Ich sass eine ganze Zeit, ratlos, was ich nun tun sollte. Ich hoffte, wenigstens Barral würde überleben, aber ich wagte mich nicht mehr zurück. Was immer in Gawain gefahren war, es konnte ihn auch gegen mich wenden. Dann hörte ich Hufe, und sah, wie Barral heranstürmte. Ich gab mich zu erkennen, und er rief mir zu "Rasch, der Elf liegt im Sterben!". Ich wandte erneut mein Pferd, innerlich nun bereit, wenn es sein musste, den Aussatz, der nun auf dem Steppenboden wandelte mit dem Willen Deneirs wieder zurückzuschicken in sein kaltes Reich. Aber es war nicht mehr nötig.
Den Elf erreichte ich noch, gerade rechtzeitig, um seinem Geist zu befehlen, noch im Körper zu verweilen. Bei Gawain, aufs schwerste getroffen, wie ich sofort erkannte, kam jedoch jede Hilfe zu spät. Er war tot. Die Gegner lagen ebenfalls am Boden, ebenfalls die unheiligen Geschöpfe des schändlichen Zaubers. Nur Grachgrym, bei dem alles seinen Anfang nahm, stand triumphierend wie ein Jäger über den Erschlagenen.
Wir schichteten die Toten auf zu grossen Stapeln, den Besitz Gawains teilten wir auf, und errichteten ihm einen eigenen Brandplatz. Da lag er, der Gefallene, in jeder Hinsicht Gefallene, aufgebahrt, mit seiner Rüstung, die er nicht hergeben wollte, mit seinem Schwert, in seine jetzt toten Hände gelegt, und alles wurde bald vom Feuer, welches wir legten, in einen blutig glühenden Glanz getaucht. Die Feuer waren gross, und brannten mit fettig schwarzem Rauch, die Toten völlig darin eingehüllt, als wir mit dem ewig wehenden Wind weiter nach Osten ritten.
Der Wind würde auch die Asche verteilen, über die Steppe wehen wie ein graues Leichentuch. Mit der verwehten Asche, so wusste ich, würde auch die Hoffnung auf ein erneutes Leben für Gawain sterben, denn keine Macht der Welt konnte ihn jetzt mehr zurückbringen. Aber vielleicht war es besser, zum Beginn des Falls zu sterben, als im Angesicht eines erzürnten Gottes weiterzuleben. Ich weiss nicht ob Tyr gnädig ist, ich hoffe, Deneir ist es...

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